Ein bisschen Radsport geht nicht
Abschied: Lydia Ventker vom RSV Gütersloh beendet nach über 1.000 Rennen ihre Karriere. Zum Abschluss triumphiert die 39-Jährige in der deutschen und österreichischen Bundesliga.
Gütersloh. Es waren nicht nur Freudentränen, die sich Lydia Ventker Ende September nach dem 3. Platz beim letzten Rennen der österreichischen Rad-Bundesliga und dem Gewinn der Gesamtwertung in Königswiesen bei der Siegerehrung aus den Augen wischte. ?Alle wichtigen Menschen in meinem Leben haben zugeschaut. Du weißt, es ist das letzte Mal, und natürlich schaust du dann zurück.? Die 39-Jährige, die nach 26 Jahren Leistungssport ihre beeindruckende Karriere beendet hat, spricht aber lieber von einem ?komischen Moment? als von einem bewegenden oder gar von einem wehmütigen.
Anfang November wird Lydia Ventker von ihrem Verein, dem RSV Gütersloh, bei einem Aktiven-Frühstück mit einem ihre Entwicklung eindrucksvoll dokumentierenden Bildband, vielen anerkennenden Worten für die bewundernswerten Leistungen, aber eben auch bedauernden über den ?großen sportlichen Verlust? verabschiedet. Dabei wirkt die in Neuss lebende Sportlerin, die neun Jahre lang das grün-weiß-blaue Gütersloher Trikot getragen hat, immer noch nicht so, als hätte sie mit ?dieser prägenden Zeit, in der sich alles um den Sport drehte? schon abgeschlossen.
?Das dauert auch noch, zumal ich ja weiterhin abtrainieren muss und nächstes Frühjahr, wenn die anderen losfahren, wird das noch mal richtig schwer?, räumt die so ehrgeizige wie zielstrebige und disziplinierte Sportlerin ein. Aber irgendwann komme nun einmal der Zeitpunkt, wo es so weit sei. ?Und ich habe mir halt vor zehn Jahren vorgenommen, mit 40 keine Rennen mehr zu fahren.?
So konsequent, wie die geborene Berlinerin seit den Anfängen in ihrer Heimatstadt 2004 für ihren Sport nach wissenschaftlich ausgeklügelten Trainings- und bis auf das letzte Gramm und die kleinste Zutat berechneten Ernährungsplänen gelebt hat, zieht sie jetzt, wo der 40. Geburtstag ansteht, ihren Abschied durch. Noch ein bisschen weiterzufahren, auch wenn sie das zweifellos könnte, ist für die bis in die letzte Faser durchtrainierte Leistungssportlerin keine Option. ?Entweder ganz, oder gar nicht, denn ein bisschen Radsport geht einfach nicht?, stellt Lydia Ventker so entschlossen fest, wie sie auf der Straße ihre Sprints an- und auch die eher ungeliebten Zeitfahren mit Stundenmitteln um die 45 km/h durchgezogen hat. Stattdessen würde sie ein bisschen mit Trailrunning liebäugeln, eine Freundin hätte sie dafür ?angefixt?, und ansonsten ?tun, woran ich Freude habe?, auf jeden Fall aber ?viel mehr mit dem Hund rausgehen?.
20 Stunden Training die Woche, der Teilzeitjob als IT-Expertin in der Justizverwaltung, die teils sehr aufwendigen Reisen zu den Rennen: Viel Zeit für das Privatleben kann Lydia Ventker nicht geblieben sein. ?Wenn du so Sport treibst, wie ich es getan habe, brauchst du einen verständnisvollen Partner, erst recht nach Enttäuschungen oder Stürzen.? Der Dank geht an ihren Mann Sebastian, ebenfalls Rennfahrer, und in den beiden Profi-Jahren 2023 und 2024 beim Kontinentalteam ?MAXX-Solar Rose woman racing? auch ihr Teamchef.
Obwohl Lydia Ventker ?in den letzten Jahren immer um die 20.000 Vorbereitungskilometer? abgerissen hat, wäre leider schon wegen der unterschiedlichen Trainingspläne kaum Gelegenheit gewesen, das zusammen zu tun, verrät die als taktisch gewieft geltende Fahrerin. 2025, in ihrer letzten Saison, ist Lydia Ventker auf beeindruckende 17 Siege gekommen. Dabei holte sie sich nicht nur das Leadertrikot der österreichischen, sondern auch ? zum zweiten Mal nach 2020 ? das der deutschen Bundesliga. ?Dass mir das als Einzelfahrerin gegen die starken Teams gelungen ist, macht mich sehr stolz.?
?Du brauchst einen verständnisvollen Partner?
Niemals hätte sie mit einem solchen Finale gerechnet, fügt Lydia Ventker hinzu. Nach der Auflösung des MAXX-Solar-Teams letztes Jahr sei sie schließlich nur deshalb zum RSV Gütersloh zurückgekehrt, um selbst entscheiden zu können, wann Schluss ist, und nicht fremdbestimmt aufhören zu müssen.
Was ist nach mehr als 1.000 Rennen mit mehr als 150 Siegen (?So genau weiß ich das gar nicht?) in 26 Jahren Radsport als besonderes Erlebnis in Erinnerung? ?Das bin ich schon mal gefragt worden?, antwortet Lydia Ventker schelmisch lächelnd. ?Zum Ärger meines Mannes habe ich da gesagt, das ist, wie ich beim Sparkassen-Giro in Bochum vor unglaublich vielen, unglaublich begeisterten Zuschauern den Spurt gegen zwei Holländerinnen gewonnen habe ? denn Sebastian hatte erwartet, dass ich unsere Hochzeit sage.?
Unvergesslich seien ihr natürlich auch die Starts bei den noch viel besser besetzten, noch schnelleren, noch härteren internationalen Profi-Rennen, ?obwohl es da für unsereins nur ums Überleben geht und nicht ums Gewinnen?, verrät Lydia Ventker. ?Aber es ist schon irre, wie bei der Tour de Suisse zu sehen, dass es Teams gibt, die mehr Betreuer haben als Fahrerinnen.?
Auf jeden Fall blicke sie ?sehr, sehr zufrieden? zurück, betont die erfolgreiche Radsportlerin. Lydia Ventker ist sicher, bei ihren ungezählten Kilometern auf dem Rennrad immer richtig abgebogen zu sein. Natürlich gebe es das eine oder andere Rennen, das sie auch noch gerne bestritten oder gewonnen hätte. Womöglich wäre manches ja auch anders gekommen, wenn die Strukturen im Frauen-Radsport in ihren jungen Jahren schon so gewesen wären wie heute. ?Aber das kann ich jetzt alles nicht mehr ändern.? Lydia Ventker freut sich auf ihr neues, anderes Leben.
Bild:Verzückt - Lydia Ventker blättert gemeinsam mit Axel Bohnensteffen, Vorsitzender des RSV Gütersloh, in dem ihr überreichten Bildband zu ihrer Karriere auf dem Rad.
Text und Foto: Uwe Kramme


